„Gleichberechtigung muss auch beim Familieneinkommen gelten“

Mit Dr. Henriette Meissner, Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH, sprachen wir über das einkommensabhängige Rentensystem – und warum das ein Problem für Frauen ist, über Gleichberechtigung beim Familieneinkommen, die arbeitgeberfinanzierte bAV und Nachhhaltigkeit.

BIOMEX.TV: Das Problem um die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen und der unter anderem daraus resultierenden unterschiedliche Höhe der Rente im Alter ist bekannt. Schon seit Jahren. Warum ändert sich an dieser Situation nichts Grundlegendes?

Dr. Henriette Meissner: Weil wir seit über 100 Jahren ein Rentensystem haben, das auf die Bezahlung abstellt. Andere Länder machen es anders. In Großbritannien gibt es zum Beispiel für alle die gleiche Grundrente –, die aber sehr gering ist. Und erst dann kommen einkommensabhängige Bestandteile darauf. Unsere gesetzliche Rente ist dagegen komplett einkommensabhängig. Es gibt ein paar soziale Aspekte, etwa die Zurechnungszeit bei der Erwerbsminderung oder die Kindererziehungszeiten, die berücksichtigt werden. Aber im Grundsatz kommt es immer darauf an, wie viel ich einzahle. Wobei eigentlich nicht dieser sogenannte Gender Pay Gap den großen Unterschied macht. Das haben Experten mal untersucht. Das sind „nur“ 6 bis 7 Prozent. Aber Frauen arbeiten sehr häufig in Teilzeit. Und der schlaue Spruch dazu lautet: Aus einer Teilzeitbeschäftigung wird keine Vollzeitrente.

Viele Frauen schieben das Thema Finanzen auf. Und/oder pausieren ihre Verträge, wenn Nachwuchs kommt. Braucht es hier eine bessere Beratung, um zu verdeutlichen, wie sich das im Rentenalter auswirkt?

Meissner: Aus meiner Sicht unbedingt. Hier sind alle Berater gefragt. Denn hier liegt ein großes Potenzial von Menschen, die wirklich Beratung brauchen. Ich stelle immer wieder fest: Wenn Frauen in meinem Umfeld Kinder bekommen und man spricht das an und sagt, denk an deine Altersversorgung, dann merkt man, dass darüber gar nicht nachgedacht worden ist. Oft ist es dann in Familien selbstverständlich, dass der Mann seine Altersversorgung weiterbezahlt und die Frau ihre Verträge beitragsfrei stellt. Und das kann es ja nicht sein. Denn es handelt sich ja um eine Familie und so sollte es auch ein Familieneinkommen geben. Es ist wichtig, dass für Frauen als auch für Männer im Alter eine auskömmliche Rente zur Verfügung steht.

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Sie sprachen eben das Thema Teilzeitarbeit an. Oft argumentieren dann die Frauen, dass das Geld zu knapp sei, um vorzusorgen zu können. Was könnte denn da helfen? Eine arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung zum Beispiel?

Meissner: Erst einmal sollte grundsätzlich darüber gesprochen werden, wie das Familieneinkommen aufgeteilt wird. Wenn es ausreicht, um die Versorgung des Mannes in voller Höhe weiterzuzahlen, aber nicht die Versorgung der Frau – dann läuft etwas falsch.

Das andere Thema ist die betriebliche Altersversorgung, kurz bAV. Als Arbeitgeber kann man jetzt nicht sagen: Ich gebe den Frauen bei gleicher Arbeit mehr Zuschuss zur bAV als den Männern. Arbeitgeberfinanzierte Versorgung muss immer für alle eingerichtet werden. Aber man könnte zum Beispiel überlegen, wie man den Zuschuss bei Teilzeit regelt. Da könnte man bestimmte höhere Zuschusskorridore setzen, etwa von 50 bis 75 Prozent, oder von 75 bis 100 Prozent. Eine andere Überlegung wäre, eine betriebliche Altersversorgung in der Elternzeit weiterzuzahlen. Das geht wieder nicht so einfach, weil man Männer mittelbar benachteiligen würde. Also müsste der Arbeitgeber dann schon in allen Fällen der Unterbrechung, also auch aufgrund von Krankheit zum Beispiel, die bAV weiterzahlen.

Reichen die vorhandenen Altersvorsorge-Produkte eigentlich aus, um Frauen eine auskömmliche Rente zu ermöglichen?

Meissner: Ja, die reichen aus. An einer Stelle brauchen wir aber den Gesetzgeber. Denn es gibt eine Regelung, die wirklich ärgerlich ist für Frauen. Das Elterngeld wird berechnet aus dem Einkommen. Und wenn ich vor der Geburt des Kindes eine Entgeltumwandlung gemacht habe, dann fällt das Elterngeld geringer aus. Was machen also viele Frauen? Sie stellen ihre bAV schon vor Geburt beitragsfrei, damit das Elterngeld höher ausfällt. Das könnte man leicht ändern. Ich habe das bei den Parteien auch schon angeregt, momentan ist der politische Wille, an diesem Punkt etwas zu ändern, aber leider nicht da. Sehr schade. Daher ist es ganz wichtig, dass Beraterinnen und Berater junge Frauen immer wieder auf das Thema Altersvorsorge ansprechen.

Welche Rolle spielen Männer bei der Versorgung von Frauen? Stichwort: Familieneinkommen.

Meissner: Gleichberechtigung sollte auch dort gelten! Wenn im Familieneinkommen 200 Euro eingeplant sind für die Altersvorsorge, dann müssen beide gleichberechtigt davon partizipieren. Warum ist das wichtig? Hat nur der Mann eine auskömmliche betriebliche oder private Altersvorsorge, es beginnt die Rentenphase und der Mann verstirbt – dann fällt dieses Zusatzeinkommen weg. Und die Frau steht ohne da. Deshalb ist es so wichtig, dass sowohl der Mann als auch die Frau eine eigene kapitalgedeckte Altersvorsorge haben.

Bei nichtehelichen Gemeinschaften wird das sicherlich noch wichtiger sein?

Meissner: Richtig. Weil da sind Frauen ja nicht mal gesetzlich abgesichert. Wenn es dann knirscht, gibt es gar keine Versorgungsansprüche. Das sollten Beraterinnen und Berater unbedingt ansprechen.

Ist das Thema Nachhaltigkeit möglicherweise ein Treiber dafür, Frauen mehr für die Altersvorsorge zu begeistern?

Meissner: Die Stuttgarter ist ja Pionier mit der grünen Rente. Ich glaube aber eher, dass Nachhaltigkeit allenfalls ein Zusatz-Goodie ist. Erst einmal müssen Frauen dafür sensibilisiert werden, sich um ihre Altersvorsorge zu kümmern. Und zwar so früh wie möglich. Im Schnitt bekommen Frauen mit 31 Jahren ihr erstes Kind. Weit davor kann schon mit der Altersvorsorge begonnen werden. Wenn man den Zinseszinseffekt kennt, weiß man, dass es in jungen Jahren nur vergleichsweise kleine Beiträge braucht, um ein ordentliches Vermögen aufzubauen. Je später es aber losgeht, desto mehr muss investiert werden. Der frühe Aufbau verbunden mit einem nachhaltigen Produkt, das für Frauen passend ist, wäre eine super Kombination. Es kommt aber bei allem auf eine gute Beratung an.

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Karen Schmidt ist seit Gründung von Pfefferminzia im Jahr 2013 Chefredakteurin des Mediums.

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