Arbeitskraftabsicherung – Grundfähigkeitspolicen entwickeln sich weiter

Allmählich hat es sich rumgesprochen im Volke: Wer keine Kraft mehr hat zum Arbeiten – sei es durch Krankheit oder nach einem Unfall –, geht ohne private Vorsorge ein großes finanzielles Risiko ein. Doch mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) kann man den Verlust der eigenen Arbeitskraft absichern. End of Story? Schön wär’s.

Leider ist es so, dass die Verbreitung der BU vielerorts stagniert – unter anderem im Handwerk, wie der Versicherer Signal Iduna konstatiert. Denn für Arbeitnehmer, die überwiegend körperlich tätig sind und damit ein höheres Ausfallrisiko zu tragen haben, ist die BU oft nicht mehr bezahlbar. Zu dieser Entwicklung hat die Branche selbst beigetragen, aber das ist eine andere Geschichte.

Eine Option für BU-lose kann die Grundfähigkeitsversicherung, kurz GFV, sein. Wie der Name schon sagt, versichert die GFV menschliche Grundfähigkeiten wie Sehen, Hören, Gehen, Treppen steigen, Heben, Tragen, den Gebrauch der Arme und so weiter. Kann der Versicherungsnehmer das nicht mehr leisten, bekommt er eine Rente. Die Leistungsauslöser für eine Grundfähigkeitsversicherung seien für Kunden leicht nachzuvollziehen und würden unabhängig von der Berufsausübung beurteilt, hebt die Signal Iduna den Nutzen des Produktes hervor.

Zudem fließt die volle Rente bereits, wenn nur eine der versicherten Grundfähigkeiten verloren geht. Torben Wamser, Product Owner Einkommensschutz bei Signal Iduna, zeigt sich dann auch optimistisch für ein Marktsegment, das endlich aus dem Dornröschen-Modus erwacht zu sein scheint: „Obwohl Deutschland als traditionelles BU-Land gilt, entdecken immer mehr Vermittler und Endkunden die Vorteile, die ein guter Grundfähigkeitsschutz bieten kann. Das gilt vor allem in Situationen, in denen ein BU-Schutz aus unterschiedlichen Gründen nicht infrage kommt“, sagt Wamser.

Komplett meint komplett

Wer nun aber die GFV gleich zum „BU-Schutz für Handwerksberufe“ erklärt, ist schief gewickelt. Denn das wecke schnell falsche Erwartungen, warnt Philipp Wedekind, Leiter Ratings Vorsorge und Nachhaltigkeit beim Analysehaus Franke und Bornberg. Die Produkte ticken einfach zu unterschiedlich: Während die BU bereits leistet, wenn körperliche oder psychische Einschränkungen eine mindestens 50-prozentige Berufstätigkeit nicht mehr erlauben, zahlt die GFV erst, wenn eine Fähigkeit komplett verloren geht. Und komplett meint auch komplett.

Beispiel Fliesenleger: Kann der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf den Knien arbeiten, so ist das ein klarer BU-Fall. Nicht so in der GFV. Erst wenn der Fliesenleger gar nicht mehr knien kann, bekommt er eine Leistung. Das Problem: Selbst mit größeren Knie-Problemen gelingt es den Menschen in der Regel, zumindest kurze Zeit zu knien, erläutert Experte Wedekind.

„Die GFV ist keine BU-Light“

„Die GFV ist eben keine BU-Light“, gibt Makler und Biometrie-Experte Philip Wenzel zu bedenken. Hier sei die Euphorie einer gewissen Ernüchterung gewichen – auch bei den Vermittlern. „Denn die Grundfähigkeitsversicherung geht halt nicht automatisch glatt durch, wenn ich in der BU-Versicherung Ausschlüsse oder gar eine Ablehnung erhalten habe“, weiß Wenzel. Um besagter Ernüchterung vorzubeugen, sei es wichtig, dass sich die Vorstellung des Kunden mit den tatsächlichen Leistungsauslösern decke. Doch hier gebe es immer wieder Missverständnisse. Diese führten dazu, dass Kunden „den Leistungsfall extrem falsch einschätzen“.

Wenzel schildert ein typisches Beispiel: „Ein Heizungsmonteur muss auch mal eine 250 Kilogramm schwere Wärmepumpe in einen Keller wuchten. Wenn er jetzt liest, dass in der GFV ‚Heben und Tragen‘ versichert ist, hört sich das für ihn super an. Nur: ‚Heben und Tragen‘ bedeutet in der Regel, 5 Kilogramm 5 Meter über einen ebenen Boden zu tragen.“ Im Klartext: Wer das nicht mehr fertigbringt, dem muss das Leben schon ziemlich übel mitgespielt haben. Wenzels Heizungsmonteur dürfte es also wie Wedekinds Fliesenleger aus dem obigen Beispiel ergehen: Sie sind noch zu fit, als dass sie auf Geld von ihrer GFV hoffen können.

Dem Erfolg der GFV im Vertrieb tut das aber keinen Abbruch. „Wir sehen weiterhin eine große Dynamik im Markt der Grundfähigkeitsversicherer. Auch in den letzten Monaten haben Versicherer weiter ihre Grundfähigkeitsprodukte erweitert und verbessert“, sagt Pascal Schiffels, Geschäftsführer des Analysehauses Morgen & Morgen. „Der Markt für Grundfähigkeitsversicherungen ist in Bewegung, das ist richtig“, bestätigt Kristina Janssen, Produktmanagerin Biometrie bei der Volkswohl Bund Lebensversicherung.

Die GFV habe mittlerweile einen festen Platz im Bereich der Arbeitskraftabsicherung erobert. Und auch für Kinder sei die GFV ein sehr guter Einstieg in eine lebensbegleitende Absicherung, sagt Janssen, die beiden GFV-Policen „Existenz“ und „Plan D“ entwickelten sich sehr erfolgreich bei den Dortmundern.

Fast jeder Lebensversicherer hat eine GFV im Angebot

Neben dem Volkswohl Bund zählt sich auch Canada Life zu den Pionieren im Markt. Heute biete hingegen „nahezu jeder Lebensversicherer“ eine GFV an, räumt Igor Radović, Direktor Produkt- und Vertriebsmanagement bei Canada Life, ein. Deren Tarif „Premium Grundfähigkeitsschutz“ sichert gegen den Verlust von 19 Grundfähigkeiten ab – bei 7 wurden die Leistungsauslöser nun so überarbeitet, dass die Kunden einfacher an ihre Rente kommen sollen.

Beispiel Auto fahren: Ab sofort reicht es, wenn die versicherte Person aus gesundheitlichen Gründen freiwillig gegenüber der zuständigen Behörde auf eine Fahrerlaubnis verzichtet oder diese abgibt. Zuvor musste die Fahrerlaubnis vom Amt eigens entzogen werden. Diese Leistungshürde entfällt also künftig für Canada-Life-Kunden.

Haftung bleibt ein Thema

Solche nützlichen Vereinfachungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Produkte zugleich deutlich komplexer geworden sind. Das liegt daran, dass GFV-Tarife meist modular aufgebaut sind – und mit der Zahl der versicherten Leistungsauslöser steigt der Preis. Igor Radović hält es daher für nachvollziehbar, dass bei der Auswahl der richtigen Komponenten schnell Unsicherheit herrsche. „Was brauche ich zwingend? Was könnte noch sinnvoll sein? Auf welche Features kann ich verzichten?“, benennt er so einige knifflige Fragen. Zwar biete Canada Life ein Produkt an, das „die wichtigsten Fähigkeiten versichert, und man sich so auf die Beratung konzentrieren kann“.

Doch Experten geben zu bedenken, dass es eben auch passieren kann, dass aus Kostengründen nicht alle Bausteine vereinbart werden – und dann lauern Haftungsfallen, wie es bei Franke und Bornberg heißt. Denn würde ausgerechnet ein fehlender Baustein zu einer Leistung führen, löse dies in der Regel eine Forderung nach Haftung aus. „Vermittler sollten nicht versicherte Leistungsauslöser und das daraus entstehende Risiko deshalb stets deutlich erläutern und dokumentieren“, warnt Analyst Wedekind. Die Absicherung der Arbeitskraft ist also nach wie vor kein rechtlicher Selbstläufer.

Fotocredit: Freepik

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Karen Schmidt ist seit Gründung von Pfefferminzia im Jahr 2013 Chefredakteurin des Mediums.

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